Shalom zusammen.
In Abwandlung eines von mir vor ca. 1 Jahr eröffneten Themas namens "Zurück ins Mittelalter?" will ich diesmal nicht ganz so weit zurück.
Bei einem heute absolvierten Vorstellungsgespräch hat man mir einen Job angeboten. Eigentlich ja gar nicht verkehrt, aber am Ende des Termins ist mir mehr oder weniger nichts mehr eingefallen.
Es scheint, als bewegen wir uns wirklich wieder in die Anfangszeit des 19. Jahrhunderts zurück, zumindest, was die Arbeitsbedingungen betrifft.
Nachfolgend das Stellenprofil und dann die wichtigsten Bedingungen.
Stellenprofil:
Auslieferung medizinischer Geräte in Kliniken, Praxen und Messen usw.**Einarbeitung durch den Arbeitgeber**Erfahrung im Lieferverkehr, technisches Verständnis, ordentliches Erscheinungsbild und Zuverlässigkeit.
Arbeitszeit: Vollzeit
Qualifikation: Kräfte mit Fachkenntnissen mit Berufserfahrung (Klingt irgendwie komisch)
Verdienst: nach Vereinbarung
Klang ja soweit ganz normal und eigentlich hatte ich nicht das schlechteste Gefühl bei der Sache. Es kam mir nur etwas merkwürdig vor, das dieses Stellenangebot bereits 2 Monate alt war. Dieses Gefühl verstärkte sich, als man mir am Telefon sagte, daß die Stellen (wenigstens 2) noch nicht besetzt seien. Bei 5 Millionen Arbeitslosen, sollte man meinen, kann das doch eigentlich kein Problem sein.
Naja, seit heute weiß ich recht gut, warum sich keiner um diese Jobs reißt und mein anfangs gutes Gefühl hatte sich bald in Wohlgefallen aufgelöst. Und jetzt die Gründe:
Wie im Profil nicht erwähnt, ist man mitunter bis zu 5 Tage unterwegs, was aber oft überhaupt nicht so geplant bzw. absehbar ist. Es kann passieren, daß man für 2 oder 3 Tage geplant hat und dann unterwegs noch was dazu kommt. Kann ich noch mit leben.
Das man erst Samstags zurückkommt, ist keine Seltenheit. An 6-8 Sonntagen muß man bei Messen auch noch ran. Ebenfalls noch akzeptabel.
Das Auslieferungsgebiet dieser medizinischen Geräte umfaßt fast das ganze Westeuropa, die Autos (vermutlich LT-Transporter) sind mit Radio, Telefon, Navi und Standheizung ausgerüstet. Über die Standheizung hatte ich mich etwas gewundert, aber dazu komme ich dann später noch.
Vom Fahrer wird nicht nur die Auslieferung erwartet. Er muß diese Dinger auch aufstellen und unter Umständen soger "vorführen" oder anschließen. Eine gewisse Verantwortung in dieser Richtung bekommt man also auch noch aufgedrückt. Geht ja auch noch.
Die "Einarbeitung durch den Arbeitgeber" (so steht's im Stellenprofil) erfolgt im Rahmen einer Trainingsmaßnahme vom AA, anstatt daß man nach Abschluß eines Arbeitsvertrages seine Arbeit aufnimmt. Es wird interessanter.
Das Gehalt wird frühestens nach dieser Trainingsmaßnahme mit dem Chef ausgehandelt. Zwischen 1200 und 1300€ netto sollten aber angeblich realisierbar sein. Sehr merkwürdige Vereinbarung, finde ich.
Trotz der mehrfach auftretenden Abwesenheit von zuhause über mehrere Tage hinweg kommt man angeblich ganz normal auf ca. 40 Stunden pro Woche. Außerdem gibt es auch schon mal einen komplett freien Tag, zum Ausgleich. Mittlerweile bin ich mißtrauisch.
Frage nach der Unterbringung bei Übernachtung. Antwort: Da die Geräte ja bis zu 100.000€ kosten, hat man bei mehreren davon im Auto richtig was von Wert dabei. Deshalb wird im Auto übernachtet. Und durch die Standheizung (aha) braucht man ja nicht zu frieren. Mittlerweile frag ich mich, ob ich was an den Ohren habe.
Frage bzgl. der ja leider unumgänglichen Ernährung. Antwort: Natürlich können sie sich im Auto kein Süppchen kochen, aber ansonsten ist das doch kein Problem. Ich glaub, mein Schwein pfeift.
Fazit:
Kein Wort von Spesen oder Überstunden. Stattdessen soll man über mehrere Tage hinweg im Auto leben, dabei natürlich ein ordentliches Erscheinungsbild abgeben und nachts auch noch den Wagen und die Geräte bewachen. Und das für schlappe 1200 oder 1300€, wobei man am Anfang noch nicht mal weiß, ob man das letztendlich auch wirklich vereinbart. Ich kann's immer noch nicht so richtig glauben, daß man mir heute sowas aufgetischt hat.
Würdet ihr so einen Job annehmen wollen? Also ich werd zusehen, daß ich schleunigst aus der Nummer rauskomme. Ich hab ja schon einiges gehört und erlebt, aber sowas dreistes noch nicht. Und diese Firma wundert sich, daß die Leute keinen Bock haben, sich dermassen ausnutzen zu lassen, wobei ausbeuten wohl passender ist. Dagegen wirkt eine Zeitarbeitsfirma ja schon fast human. Es stellt sich schon eher die Frage, ob so ein Job überhaupt zumutbar ist. Die haben doch echt den Knall nicht gehört.
Wenn das so weitergeht, brauchen wir uns kaum zu wundern, wenn unsere ausländischen Nachbarn bald mitleidig auf uns herabsehen.
Deutscher - ach, du armes Schwein.
Mit den 1-Euro-Jobs hat man ja auch wieder so etwas wie Zwangsarbeit eingeführt. Dem bin ich allerdings und zu meinem Glück am Montag von der Schippe gesprungen. Man hatte mir einen Vordruck mit den Bedingungen dazu mitgegeben, und als eine Freundin von mir sich den durchgelesen hatte, guckte die mich nur noch fassungslos an und meinte, das dürfe ja wohl nicht wahr sein.
Man hat wenigstens die üblichen Pflichten eines Arbeitnehmers, aber deutlich weniger Rechte. Bei Krankheit oder Vorstellungsgesprächen z.B. gibt's keinen Cent.
Vorgestern hab ich diesbezüglich auch eine dolle Story gehört. Ein ehemaliger Maurer (früher selbständig, danach angestellt, dann arbeitslos) hat einen 1-Euro-Job verpaßt bekommen. Im Rahmen dessen sollte er für die Stadt ein komplettes Haus bauen. Er hat sich geweigert und meinte, dann könnten sie ihn auch einstellen, was sie natürlich nicht getan haben. Ich bin mal gespannt, wie die Geschichte weitergeht.
Aber eines ist sicher: Deutschland geht massiv den Bach runter. Wo und wie wird das wohl enden?